Neue Leitlinien für den Pferdesport – viele Fragen, einige Antworten

Neue Leitlinien für den Pferdesport – viele Fragen, einige Antworten

 Als vor wenigen Wochen die neuen Leitlinien für den Pferdesport vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft veröffentlicht wurden, sorgte das für viel Aufmerksamkeit in der Szene, schließlich waren die bisherigen Leitlinien schon seit 28 Jahren nicht mehr aktualisiert worden. Nach einer ersten Sichtung ergaben sich jedoch einige Fragen für die Country-Reiten-Redaktion. Wir haben versucht, Antworten zu finden …

 Die Aktualisierung der Leitlinien war dringen nötig, denn auch wenn einige Verbände in den vergangenen Jahren einiges unternommen haben, um den Umgang mit Pferden im Sport tiergerechter zu gestalten, so gab und gibt es doch immer wieder Bilder von Turnieren zu sehen, bei denen genau dieser Eindruck der Tiergerechtheit nicht aufkommen mag. Man denke nur an das, was beim CHIO zu sehen war, aber es gibt auch genügend andere Beispiele.
Doch auch die Einstellung zum Partner Pferd hat sich im Laufe der Jahre gewandelt. Die Anforderungen und Haltung und Umgang sind gestiegen – völlig zurecht. 

Wer ist eigentlich zuständig?

Nachdem wir die neuen Leitlinien durchgearbeitet haben, blieben bei uns einige Fragen offen, die wir ans BMEL gestellt haben. Dort teilte man uns jedoch mit, gar nicht zuständig zu sein, denn schließlich würden die Länder die Leitlinien umsetzen und am Schluss die Veterinärämter auf Kreisebene. Also haben wir unsere Anfrage an die 16 Bundesländer gestellt, die wiederum der Meinung waren, sie seien gar nicht zuständig, weil sie die Leitlinien nicht herausgeben würden. Wir sollten uns doch an das BMEL wenden. Nach einigem „im Kreis drehen“ erreichte uns dann doch eine Antwort der Arbeitsgruppe Tierschutz der Länderarbeitsgemeinschaft Verbraucherschutz (AGT), in der die Tierschutzreferenten der Länder vertreten sind.

Stellvertretend geantwortet hat uns Frau Dr. Ulrike Marschner, Ministerialrätin im Bayerischen Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz und Vorsitzende der AG Tierschutz.

Dr. Marschner: Vielen Dank für Ihre Anfrage zu den überarbeiteten Leitlinien zum Umgang mit und Nutzung von Pferden unter Tierschutzgesichtspunkten (Tierschutz im Pferdesport).
Leitlinien entfalten keine rechtliche Verbindlichkeit, sondern sie sollen eine Orientierungshilfe für die Auslegung der allgemeinen Regelungen des Tierschutzgesetzes geben und alle Personen, die mit Pferden umgehen, aber auch die zuständigen Behörden und Gerichte bei der Entscheidung unterstützen, ob eine Nutzung von Pferden den Vorschriften des Tierschutzgesetzes entspricht. Sie ersetzen nicht die Prüfung und Abwägung im jeweiligen Einzelfall. Dies vorangestellt, beantworten wir Ihre Fragen wie folgt: 


In Leitlinien können

keine Verbote

geregelt werden.


Warum werden Leitlinien nicht häufiger aktualisiert. Seit 1992 sind ja nun 28 Jahre vergangen. Und werden die Leitlinien zur Haltung dann auch in Bälde aktualisiert?

Dr. Marschner: Die Leitlinien werden vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft herausgegeben. Ihre Fragen können daher nur von dort beantwortet werden. Die AGT würde eine regelmäßigere Prüfung der Aktualität und ggf. zeitnahe Anpassung der Leitlinien begrüßen.

Wie genau wird die Hyperflexion definiert? Ab wann ist der Pferdekopf in der Hyperflexion?

Dr. Marschner: Gemäß den Begriffsbestimmungen in den Leitlinien (S. 8) ist die Hyperflexion als Überbeugung des Genicks oder des Halses als Folge des Reitens oder Longierens mit sehr enger und/oder in Richtung Vorderbrust eingerollter Kopf-Hals-Position des Pferdes zu verstehen.
Die Überdehnung im Nackenbereich führt zu Schmerzen beim Pferd. Zudem erzeugt die Hyperflexion Leiden beim Pferd, da das Pferd aus seinem Sicherheitsbedürfnis als Fluchttier die Umgebung sehen können muss, um mögliche Gefahren frühzeitig erkennen zu können. In dieser tief eingerollten Kopf-Hals-Haltung kann das Pferd allerdings vom optischen Sichtfeld nur noch den Boden und seine Vorderbeine/-hufe sehen. Das Pferd muss auf die Reiterhilfen vertrauen und sich „blind“ lenken lassen. Es wird dadurch „aktiv“ unterworfen und „gefügig“ gemacht. Dies erzeugt Leiden beim Pferd.

 

Eine übermäßige Beizäumung,

sprich Hyperflexion, führt zu

Schmerzen, Leiden und

Schäden beim Pferd.



Sie schreiben: Pferde wegen ihrer Fluchtreaktionen (z. B. Scheuen, Wegspringen, Durchgehen), die dem natürlichen Verhalten von Pferden zuzuordnen sind, zu bestrafen, ist deshalb falsch und verstärkt nur Angst und körperliche Verspannung. Das begrüßen wir ausdrücklich, denn auch wir arbeiten am liebsten mit Lob und positiver Bestärkung. Wie lautet Ihre Empfehlung, mit solchen Situationen umzugehen, wenn ein Pferd ein solches Verhalten zeigt?

Dr. Marschner: Grundsätzlich gilt, dass das Fluchttier Pferd an fremde Dinge langsam und geduldig herangeführt und gewöhnt werden muss. Der Mensch sollte dabei dem Pferd auch in bedrohlich erscheinenden Situationen Sicherheit und Schutz vermitteln und die Führungsrolle übernehmen. Erfahrene Reiter können mitunter der Reaktion des Pferdes zuvorkommen und die die Fluchtreaktion auslösende Gefahrensituation vermeiden oder überspielen und dabei beruhigend auf das Pferd einwirken. Unter Umständen kann auch ein ruhiges, erfahrenes Pferd als Orientierung/Führpferd eingesetzt werden.


Sie schreiben: Deshalb müssen diesem Personenkreis bei der Aus- und Fortbildung auch vertiefte Erkenntnisse der Verhaltenslehre vermittelt werden. Besondere Berücksichtigung sollte dabei auch das Lernverhalten der Pferde finden, um die Trainingsmethoden den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen anzupassen. Wie und wo wird geregelt, wer ausreichend ausgebildet ist?
Wer kümmert sich um die Nachschulung der vielen Trainerinnen und Trainer mit altem Wissensstand?
Welche Sanktionen drohen, wenn alles das nicht erfolgt?

Dr. Marschner: Im Pferdesport ist lediglich der Beruf des Pferdewirtes bzw. des Pferdewirtschaftsmeisters mit seinen unterschiedlichen Spezialisierungen ein staatlich anerkannter Ausbildungsberuf. Für die Amateurtrainerausbildung und –fortbildung sind die Pferdesportverbände zuständig. Bei Bekanntwerden möglicher tierschutzrechtlicher Verstöße eines Ausbilders prüft die zuständige Veterinärbehörde den Vorfall und ergreift die erforderlichen Maßnahmen auf Grundlage des Tierschutzgesetzes.
Bei Trainern, die gewerbsmäßig Reitunterricht anbieten, wird die Sachkunde schon vor Beginn der Tätigkeit im Rahmen des Erlaubnisverfahrens nach § 11 des Tierschutzgesetzes von der örtlich zuständigen Veterinärbehörde überprüft.


Mit positiven Emotionen lernt
das Pferd wesentlich leichter
und Lerninhalte werden im
Gehirn besser abgespeichert.


Sie schreiben: Der Einsatz von Gewalt in jeglicher Form beim Umgang mit Pferden ist abzulehnen
Das ist absolut richtig, aber wie genau definieren Sie in diesem Zusammenhang "Gewalt"? Ein Peitschen/Gertenhieb ist für uns bspw. durchaus schon Gewalt.

Dr. Marschner: Die Leitlinien geben vor, inwieweit Peitschen und Gerten eingesetzt werden dürfen. Der Gebrauch von Peitschen, Gerten oder ähnlichen Instrumenten bei der Ausbildung, beim Training oder bei der Nutzung, einschließlich des Wettbewerbs, darf über eine Hilfenge bung nicht hinausgehen (Ziffer 6.1.5 d. Leitlinien). Hilfen sind als Verständigungsmittel zwischen Mensch und Tier anzusehen. Sie sind zu minimieren und dürfen nicht zu Schmerzen, Leiden einschließlich Ängsten oder Schäden (z. B. Verletzungen) beim Pferd führen (Ziffer 4.1.3 d. Leitlinien).
Peitschen und Gerten können als Hilfengebung im Rahmen der operanten Konditionierung eingesetzt werden (siehe Ziffer 4.1.2. Leitlinien). Über operante Konditionierung lernt das Pferd etwas über die Konsequenz seines Verhaltens. Als Reaktion auf das vom Pferd gezeigte Verhalten wird entweder etwas Angenehmes bzw. Unangenehmes hinzugefügt (positive Verstärkung bzw. positive Strafe) oder es wird etwas Angenehmes bzw. Unangenehmes weggenommen (negative Verstärkung bzw. negative Strafe). Das bedeutet, wenn positive Strafe eingesetzt wird, fügt der Trainer in der Lernsituation beispielsweise durch einen Peitschenschlag etwas Unangenehmes hinzu und das Pferd lernt in der Konsequenz dieses Verhalten weniger oft zu zeigen. Damit Pferde eine Verknüpfung zwischen dem von ihnen gezeigten Verhalten und der darauffolgenden Strafe herstellen können, muss ein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang bestehen. Die Strafe muss innerhalb von 1-2 Sekunden auf das gezeigte, nicht erwünschte Verhalten erfolgen. Strafe ist hingegen gänzlich ungeeignet, um eine nicht erbrachte Leistung oder ein nicht gezeigtes Verhalten zu korrigieren, da keine Verknüpfung zwischen nicht gezeigtem Verhalten und Strafe vom Pferd hergestellt werden kann.
Mit positiven Emotionen lernt das Pferd wesentlich leichter und Lerninhalte werden im Gehirn besser abgespeichert. Daher empfiehlt sich im Rahmen der operanten Konditionierung die positive Verstärkung (z.B. Kraulen oder Futterbelohnung) einzusetzen, da durch diese Methode Freude als Emotion hervorgerufen wird. Setzt man hingegen positive Strafe ein, wird Angst erzeugt. Dies kann die Vertrauensbasis zwischen Pferd und Trainer belasten. Wird Strafe für das Pferd unberechenbar eingesetzt, also nicht innerhalb der 1-2 Sekunden, damit eine Verknüpfung zum gezeigten Verhalten hergestellt werden kann, kann das Pferd panisch werden und/oder eine generalisierte Angst entwickeln. Dadurch entsteht Leiden. Richtig eingesetzte Strafe kann in manchen Lernsituationen hilfreich und sogar erforderlich sein, falsch, das heißt für das Pferd unberechenbar oder übertrieben eingesetzte Strafe hingegen erzeugt Angst, Panik und Leiden beim Pferd und muss in diesem Zusammenhang als „Gewalt“ bezeichnet werden.


Sie schreiben: Der Versuch, Ausbildungsziele durch Zwang, Bestrafung oder Anwendung von Gewalt zu erreichen, ist tierschutzwidrig und führt nicht zum Erfolg. Was wären Beispiele für Zwang, Bestrafung oder Gewalt? Welche Konsequenzen drohen denjenigen, die sich nicht daran halten? Und wie soll das kontrolliert werden?

Dr. Marschner: Zwang, Bestrafung oder Gewalt führen in der Regel zu Schmerzen, Leiden bedingt durch Angst- und Panikreaktionen, sowie teilweise sogar zu Schäden beim Pferd (z.B. Maulwinkelverletzungen, Sporenverletzungen, Peitschenstriemen etc.). Zwang, Bestrafung oder Gewalt können durch unterschiedliche Verhaltensweisen und Maßnahmen ausgeübt werden. Hierzu zählen etwa grobes Verhalten des Reiters oder Ausbilders, der unsachgemäße Einsatz von Hilfsmitteln sowie Manipulationen (Nummer 6.3 Leitlinien) oder die Anwendung von bestimmten Hilfsmitteln. Zu nennen sind hier etwa die Anwendung stromführender Hilfsmittel oder das Barren im Springtraining. Über den Leiden verursachenden, unsachgemäßen Einsatz von Strafe in der Ausbildung und beim Umgang wird auf die Antwort zu Frage 6 verwiesen.
Bei Bekanntwerden möglicher tierschutzrechtlicher Verstöße eines Reiters oder Ausbilders prüft die zuständige Veterinärbehörde den Vorfall und ergreift die erforderlichen Maßnahmen auf Grundlage des Tierschutzgesetzes.

 
Die Haltungsbedingungen sind ein
entscheidender Baustein für die
physische und psychische
Gesunderhaltung von Pferden.


Sie schreiben: Der Beginn der Ausbildung muss sich an dem jeweiligen Entwicklungsstand des Pferdes und seinem Leistungsvermögen orientieren. Die Entwicklung muss so weit fortgeschritten sein, dass sie durch die Leistungsanforderung nicht mehr beeinträchtigt wird.
Warum gibt es hier keine feste Altersangabe, ab wann z.B. eingeritten werden darf? Oder ab wann Rennen gegangen werden dürfen? Wer ist befähigt (und warum), zu entscheiden, ob ein Pferd den entsprechenden Entwicklungsstand hat?

Dr. Marschner: Wir antworten dazu weiter unten bei der Frage zu Pferden bei Trab- und Galopprennen.


Sie schreiben: Pferde früher als im Alter von 30 Lebensmonaten in die zielgerichtete Ausbildung zum vorgesehenen Nutzungszweck zu nehmen, verletzt in der Regel die dargestellten Grundsätze.
Warum gibt es dann kein eindeutiges Verbot? Welche Ausnahmen gelten denn aus Ihrer Sicht? Wie ist die "zielgerichtete Ausbildung" definiert? Wie kann ich trotzdem einem jungen Pferd die grundlegenden Umgangsformen beibringen?

Dr. Marschner: In Leitlinien können keine Verbote geregelt werden, da diese nur eine Orientierungshilfe für die Auslegung der allgemeinen Regelungen des Tierschutzgesetzes sind. Davon abgesehen würde eine feste Altersvorgabe für z. B. das Anreiten nicht berücksichtigen, dass je nach Rasse, physischer und psychischer Entwicklung des Pferdes sowie dem angestrebten Ausbildungs- und Nutzungszweck ein längeres Abwarten bis zum Anreiten als üblich geboten sein kann, um Verletzungen und Schäden, die durch einen zu frühen Ausbildungsbeginn entstehen können, zu vermeiden. Im Zweifelsfall ist zur Beurteilung der körperlichen Leistungsfähigkeit ein Fachtierarzt hinzuzuziehen (Ziffer 5.1.2 d. Leitlinien).
Der Umgang mit dem Pferd gehört zur Ausbildung im weitesten Sinne und beginnt schon in den ersten Lebenstagen. Durch den regelmäßigen Kontakt des Menschen mit der Mutterstute und dem Fohlen wird dieses an den Umgang mit dem Menschen gewöhnt. Fohlen lernen sehr viel und schnell durch Nachahmung des Verhaltens der Mutter. Ist die Mutterstute mit dem Menschen vertraut, können so dem Fohlen die grundlegenden „Umgangsformen“ wie z. B. das Aufhalftern, das Führen, das Putzen, erste Hufpflegemaßnahmen u. a. einfach vermittelt werden.

 
Fragen zu den Regelwerken der
Pferdsportverbände sind durch
diese zu beantworten.


Sie schreiben: Physische und psychische Überlastung durch zu häufiges, zu intensives und/oder zu einförmiges Training (z. B. zu schwere Reiter, zu langes Longieren in höheren Gangarten) sind in jedem Fall zu vermeiden.
Das ist sehr löblich, aber wie genau ist das definiert? Ab wann longiert man "zu lange"? Ab wann ist jemand "zu schwer" für ein Pferd?

Dr. Marschner: Dies bedarf der Beurteilung im Einzelfall. Physische und psychische Überforderung signalisieren Pferde durch Stressverhalten und ggf. Schmerzverhalten. Stress äußert sich beispielsweise in Abwehrverhalten, Arbeitsverweigerung, Apathie, Angstverhalten, aber auch Aggressionsverhalten, wie auch spezifische Konflikt-anzeigende Verhaltensweisen wie Übersprunghandlungen, erlernte Hilflosigkeit und bei dauerhaft überschrittenen Anpassungsgrenzen das Entwickeln von Verhaltensstörungen (Stereotypie). Um zu beurteilen, ob ein Pferd im Training überfordert ist, ist entscheidend, ob das Pferd die Stresssituation bewältigen kann oder nicht. Anzeichen für eine positive Stressbewältigung sind immer, wenn das Pferd die Pause im Training annehmen kann und sich in der Pause (kurze Zeitspanne mit beispielsweise Schritt am hingegebenen Zügel) auch wirklich entspannen kann (zum Beispiel Abkauen, Kopf-Hals nach vorne unten Strecken im Schritt). Zeigt ein Pferd auch in der Pause zwischen zwei Trainingseinheiten Stressverhalten mit häufig vorkommenden konflikt-anzeigenden Verhaltensweisen ist dies ein Hinweis, dass die Stressbelastung zu hoch ist, der Leistungsdruck im Training reduziert und Lektionen in kleineren Schritten erarbeitet werden sollten.
Zur Beurteilung, ob ein Reiter zu schwer für sein Pferd ist, kann z. B. das Merkblatt Nr. 185 „Reitergewicht“: Beurteilung der Gewichtsbelastung von Pferden unter Tierschutzgesichtspunkten der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz e. V. herangezogen werden.


Sie schreiben: Bei Galopp- und Trabrennpferden mit ausschließlichem Training auf Schnelligkeit kann das Mindestalter bei Trainingsbeginn ausnahmsweise herabgesetzt werden, wenn ein maßvolles, auf den Entwicklungsstand sowie das Leistungsvermögen abgestimmtes und schonend gestaltetes Training nach den oben dargestellten Grundsätzen sichergestellt wird. Bei der Gestaltung der jeweiligen Trainingsbedingungen sind vor allem die Haltungsbedingungen der Jungpferde zu beachten.
Verstehen wir das richtig? Für den Rennsport dürfen also weiterhin sehr junge Pferde trainiert werden, Hauptsache, die Haltung stimmt? Welchen Unterschied in ihrer Entwicklung haben den Traber/Galopper gegenüber ihren Artgenossen, die diese Ausnahme begründen?

Dr. Marschner: Die Haltungsbedingungen sind ein entscheidender Baustein für die physische und psychische Gesunderhaltung von Pferden. Im Zusammenhang mit dem Mindestalter von Pferden bei Trainingsbeginn sowie insbesondere auch mit der Gestaltung des Trainings und der jeweiligen Haltungsbedingungen der Jungpferde besteht derzeit noch Forschungsbedarf. Vor diesem Hintergrund wird das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft zeitnah umfassende wissenschaftliche und praktische Untersuchungen initiieren und unterstützen, bei denen vor allem die Trainingsbedingungen, die Auswirkungen eines frühen Nutzungsbeginns, die Haltungsumwelt sowie die Durchführung der tierärztlichen Beurteilung der physischen und psychischen Belastbarkeit der betreffenden Pferde im Vordergrund stehen. Nach Abschluss dieser Untersuchungen werden die Leitlinien auf Basis der erzielten Forschungsergebnisse überprüft und neue wissenschaftliche Erkenntnisse entsprechend berücksichtigt. Als Kompromiss hat man sich bei der Erstellung der Leitlinien darauf geeinigt, dass bis dahin Galopp- und Trabrennpferde zumindest vor dem Trainingsbeginn und dem ersten Start einer fachtierärztlichen Untersuchung unterzogen werden. Dabei sind die physische und die psychische Belastbarkeit des jeweiligen Pferdes zu überprüfen. (Ziffer 5.1.2 d. Leitlinien)


Sie schreiben: Dabei sind die physische und die psychische Belastbarkeit des betreffenden Pferdes mit dem Ziel zu überprüfen, das Risiko für Früh- und Spätschäden bei den betroffenen Pferden aufgrund des frühen Trainingsbeginns (z. B. Veränderungen der Knochenstabilität, Knorpelschädigungen) zu minimieren.
Warum ist es nicht das Ziel, Früh- und Spätschäden auszuschließen?

Dr. Marschner: Der Begriff "Minimieren" impliziert aus unserer Einschätzung die Inkaufnahme von solchen Schäden in geringem Umfang, was dem Verständnis von Tierwohl gegenläufig ist. Bei der Nutzung und Haltung von Pferden besteht - unabhängig von Reitweise und ausgeübter Disziplin – immer ein gewisses Risiko für das Eintreten von Schäden am Bewegungsapparat. Dieses Risiko kann leider immer nur minimiert, nicht aber ganz ausgeschlossen werden. Im Übrigen sagt die Formulierung aus unserer Sicht lediglich aus, dass man das Risiko minimieren möchte.
Wie das Differenzprotokoll in Abschnitt 9 der Leitlinien feststellt, gibt es unterschiedliche Auffassungen darüber, welche Rolle das Alter eines Pferdes für das Risiko von Verletzungen spielt und welche Risiken man bei der sportlichen Nutzung eines Pferdes – wie Sie es formulieren – in Kauf nehmen kann. Warum man sich für die von Ihnen kritisierte Formulierung und gegen eine Fassung, die die Sichtweise aus dem Differenzprotokoll berücksichtigt, entschieden hat, müssen Sie beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft erfragen.


Sie schreiben, dass man noch nicht genug über die Ausbildung/Nutzen/den Start des Trainings von jungen Pferden wisse und das wissenschaftlich untersuchen möchte, um die Erkenntnisse zeitnah in die Leitlinien einfließen zu lassen. Was genau bedeutet in dem Fall "zeitnah"?

Dr. Marschner: Da die Federführung für derartige wissenschaftliche Untersuchungen beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft liegt, muss die Frage von dort beantwortet werden.


Die AGT würde eine regelmäßigere
Prüfung der Aktualität und ggf.
zeitnahe Anpassung der
Leitlinien begrüßen.



Sie schreiben: In der beginnenden Ausbildungsphase bis zum ersten Einsatz bei einer leistungsbezogenen Prüfung als Reit-, Fahr-oder Rennpferd sind in der Regel etwa sechs Monate Ausbildungszeit erforderlich.
Heißt das, dass man ein junges Pferd in 6 Monaten so ausbilden kann, dass ich es
z.B. in Rennen einsetzen kann?

Dr. Marschner: Dies bedarf der Beurteilung im Einzelfall. In der Regel ist eine Ausbildungszeit von etwa sechs Monaten erforderlich. Grundsätzlich gilt, dass zwischen dem Beginn der zielgerichteten Ausbildung zum vorgesehenen Nutzungszweck und dem ersten Einsatz bei einer entsprechenden Veranstaltung (Wettbewerb oder ähnliche Veranstaltung) ein an den Trainingszustand, die Konstitution, das Alter und die Rasse individuell angepasster Zeitraum für das Erreichen und Festigen der erforderlichen physischen und psychischen Leistungsfähigkeit liegen muss (Ziffer 5.1.2 d. Leitlinie).


Sie schreiben: Die Verbände haben durch eigene Regeln sicherzustellen, dass durch geeignete Kontrollen der Gesundheitszustand der Pferde und die ordnungsgemäße Anbringung der Ausrüstung durch den Veranstaltungs-/Turniertierarzt und ein Mitglied der Richtergruppe/Rennleitung unmittelbar vor oder nach dem Wettbewerb geprüft werden. Dafür sind repräsentative Kontrollzahlen in den Regelwerken festzulegen. Näheres bestimmen die Regelwerke der verschiedenen Pferdesportverbände. Die durchgeführten Pferdekontrollen und deren Ergebnisse sollten in einem transparenten Verfahren der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.
Wann und wo werden die Zahlen veröffentlicht? Wer kontrolliert diese Zahlen und vor allem deren Richtigkeit?

Dr. Marschner: Fragen zu den Regelwerken der Pferdsportverbände sind durch diese zu beantworten. Wenn im Rahmen einer Veranstaltung tierschutzrechtliche Verstöße festgestellt werden, sollten diese dem örtlich zuständigen Veterinäramt gemeldet werden.


Sie schreiben: Auf den Einsatz von Korrekturzügeln wie insbesondere Schlaufzügel soll bei Ausbildung und Training verzichtet werden. Ist ihr Einsatz ausnahmsweise erforderlich, so dürfen sie nur von erfahrenen Reitern mit feiner Hilfengebung eingesetzt werden. Hilfs- und Korrekturzügel dürfen keine Zwangsmittel sein, sondern sollen über kurze Zeiträume dem Pferd helfen, das Geforderte zu verstehen und umzusetzen. Wird ein Pferd durch Zügelhilfen, Hilfs- oder Korrekturzügel (z. B. Schlaufzügel) häufig oder länger anhaltend in Spannung versetzt oder zu stark beigezäumt, so können erhebliche Schmerzen, Leiden oder Schäden entstehen. Ein derartiger Zügelgebrauch ist tierschutzwidrig.
Warum "soll" auf Korrekturzügel verzichtet werden? Warum werden diese nicht verboten? Und wie sind "kurze Zeiträume" definiert? Wie soll das kontrolliert werden?

Dr. Marschner: In Leitlinien können keine Verbote geregelt werden, da diese nur eine Orientierungshilfe für die Auslegung der allgemeinen Regelungen des Tierschutzgesetzes sind. Im Übrigen ist wiederum eine Einzelfallprüfung erforderlich. Es wird auf die Antwort von Frage 3 verwiesen. Eine übermäßige Beizäumung, sprich Hyperflexion, führt zu Schmerzen, Leiden und Schäden beim Pferd. Sollten tierschutzrechtliche Verstöße im Zusammenhang mit dem Einsatz von Korrekturzügeln bekannt werden, so prüft die zuständige Veterinärbehörde den Vorfall und ergreift die erforderlichen Maßnahmen auf Grundlage des Tierschutzgesetzes.

Bei der Nutzung und Haltung von
Pferden besteht ... immer ein
gewisses Risiko für das Eintreten
von Schäden am Bewegungsapparat.


Sie schreiben: Für den Transport von Pferden in Zusammenhang mit einer wirtschaftlichen Tätigkeit gelten darüber hinaus die unmittelbar anwendbaren Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 1/2005 über den Schutz von Tieren beim Transport und damit zusammenhängenden Vorgängen. Die Grundsätze der EU-Verordnung sollten jedoch bei jedem Transport beachtet werden.
Warum müssen die Grundsätze der EU-Verordnung nicht bei jedem Transport berücksichtigt werden? Auch bei privaten Fahrten sollte der Schutz der Pferde genauso groß sein, wie bei gewerblichen Fahrten, oder etwa nicht?

Dr. Marschner: Aufgrund der Entscheidung des Verordnungsgebers wird der Transport von Tieren, der nicht in Verbindung mit einer wirtschaftlichen Tätigkeit durchgeführt wird, ausdrücklich vom Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 1/2005 ausgenommen. Gleichwohl sind allgemeine tierschutzrechtliche Grundsätze zu beachten und alle Transporte müssen im Einklang mit den übergeordneten Zielen der Verordnung (EG) Nr. 1/2005 durchgeführt werden (siehe letzter Satz Nummer 6.7 der Leitlinien: Die Grundsätze der EU-Verordnung sollten jedoch bei jedem Transport beachtet werden.). Somit dürfen den Tieren auch bei privaten Transporten keine Schmerzen, Leiden oder Schäden, z. B. durch Beschaffenheit des Transportmittels oder die Fahrweise, zugefügt werden.


Sie schreiben von einem Ausstellungsverbot und darüber, dass Pferde genügend Platz bei Turnieren haben und die Ruhezeiten beachtet werden.
Gilt das auch für Messen, wo Pferde ausgestellt werden? Oft in sehr kleinen Boxen mit entsprechend hohem Lärmpegel.

Dr. Marschner: Für die Haltung von Pferden im Rahmen von Veranstaltungen (z. B. Unterbringung im Stallzelt) gelten grundsätzlich auch die „Leitlinien zur Beurteilung von Pferdehaltungen unter Tierschutzgesichtspunkten“ des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft, insbesondere betrifft dies die Boxengröße. Eine Unterschreitung dieser Vorgaben ist nur in begründeten Ausnahmefällen und nur kurzzeitig zu rechtfertigen, wenn z. B. freier Auslauf auf Turnieren nicht ermöglicht werden kann. In diesen Fällen müssen jedoch Maßnahmen ergriffen werden, um eine angemessene Haltung und Betreuung der betroffenen Tiere sicherzustellen. So müssen beispielsweise geeignete Flächen für das Ruhen und/oder Liegen der Pferde vorhanden sein. Während der Ruhephasen sind störende Einflüsse wie Lärm und Aktivitäten im Umfeld der Pferde auf ein Minimum zu beschränken. Extreme Lärmbelastung ist generell zu vermeiden (Ziffer 4.2. d. Leitlinien).
Sind Pferde nahezu jedes Wochenende für mehrere Tage auf Turnierveranstaltungen oder Messen, bzw. fahren z. B. in Zirkussen mit, ist die Unterbringung nicht mehr als kurzzeitig und in Ausnahmefällen zu werten. In diesem Fall müssen die Vorgaben der Leitlinien Pferdehaltung erfüllt sein.